Amazonas

Ein Interview mit Milton Callera (39) ehemaliger Präsident der Achuar des ecuadorianisches Amazonastiefland. Er arbeitete in Tropenwaldschutzprojekten der KfW sowie seit einigen Jahren für die COICA (Koordination der Indigenen Organisationen des Amazonasbeckens).

Was ist die Geschichte der Achuar?

Die Achuar hatten bis in die 60er Jahren fast keinen Kontakt zur Außenwelt. Nur mit Felljägern, mit denen Tauschhandel betrieben wurde. Dann kamen die evangelischen Missionare. Zu der Zeit lebten wir in zwei ecuadorianischen Bundesländern, Pastaza und Morona-Santiago. Als sich die Bevölkerung der Shuar in jedem der beiden Bundesländer organisierte, gehörten die Achuar dazu. Aber im Jahr 1991 beschlossen wir, eine eigene Organisation für unser Volk zu gründen, 1992 kam es zu einer ersten Generalversammlung in Charapacocha, hier wurde dann die Organisation gegründet: NAE (Volk der Achuar von Ecuador). Die Landtitel des Volkes belaufen sich über 700.000 Hektar. Wir sind ungefähr 8000 Menschen, die in um die 900 Familien leben.

Unsere Kultur entwickelt und verändert sich beständig. Wir haben unsere Sprache, Sitten, Traditionen und Lebensweise: Jagd, Fischen, Architektur, Häuser aus Palmblättern.
Wir tragen traditionelle Kleidung für Riten und Versammlungen. Die Tawasa (Federkrone), Machakap (Ketten aus Samen) und die Frauen tragen Halsketten, Armbänder und Fussbänder. Ihr Gürtel sind dekoriert mit Schneckenhäusern und Samen.

Unsere Ernährung sichern wir mit der “Aja”, dem traditionellen Feldbau der Achuar, der Jagd und dem Fischfang. Bis jetzt gibt es funktionierende Ökosysteme, eine Pflanzen- und Tierwelt, die uns versorgen. Und wir versuchen alternativen zur Jagd aufzubauen. Es gibt Fischzucht- und Geflügelzuchtprogramme für den Eigenverbrauch. Auch werden Chontapalmen gesät, damit die Wildbestände im Regenwald weniger genutzt werden.

Ökosysteme haben viele Dienstleistungen, nicht nur Bäume, sondern auch Flüsse und Wasserfälle und Hügel. Dort leben die Geister unserer Großeltern. Wenn ein Achuar stirbt, wird sein Geist unserem Glauben nach zu einer Anakonda, einem Jaguar, zu einem großen Fluss, Wasserfall oder aber einem großen Baum. Der Mensch hat in unserem Weltbild eine Verbindung zur Natur und zu seinen Vorfahren. Wenn wir zum Wasserfall gehen, treffen wir sie, um Ratschläge und Heilung zu erbitten

Sind für die Achuar die Auswirkungen der Klimakrise bereits spürbar?

Im Territorium der Achuar können wir die ersten Auswirkungen seit ungefähr 20 Jahren wahrnehmen. Jedes Jahr gibt es Jahreszeiten mit Überschwemmungen, aber so extrem wie heute war es früher nicht.  Und unser ökologischer Kalender hat sich verändert:
Der Monat Februar ist der Monat der Kröten, ein Monat des Regens und kleine Fische steigen in den Flüssen auf. Das hat sich geändert. Und im März brüteten normalerweise die Vögel und schlüpften die Küken, jetzt passiert dies aber im Mai und Juni. Auch die Blütezeit der Bäume hat sich verändert.
Der agrarökologische Kalender, so wie er von meinen Vorfahren gehandhabt wurde, ist durcheinandergeraten.

Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden?

Besonders wichtig ist es die Entwaldung innerhalb unseres Territoriums zu reduzieren.

In Morona wurden wegen Viehwirtschaft 300 Hektar Wald innerhalb des  Achuar Territorium abgeholzt. Wir haben deshalb Workshops zur nachhaltigen Nutzung unserer Wälder mit der lokalen Bevölkerung durchgeführt. Wir haben sie aufgeklärt über all die negativen Folgen, die der Verlust unserer Wälder nach sich ziehen. Nun wird die Fläche wieder aufgeforstet. Mit Obstbäumen, Zimtbäumen, tropischem Zedernholz und Palmen. Wir versuchen so auch alternative Einnahmemöglichkeiten zu schaffen. Ätherisches Zimtöl zum Beispiel. Indem wir die Entwaldung stoppen sowie Aufforstung fördern, tragen wir zum Klimaschutz bei.

Was macht das Amazonasbecken und sein Regenwald so besonders?

Das Amazonasbecken erstreckt sich über 6,74 Millionen Quadratkilometer, über die Grenzen von neun Ländern: Brasilien, Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Surinam, Venezuela und Französisch-Guayana. Der Regenwald des Amazonas stellt ein Drittel der noch vorhandenen tropischen Wälder der Erde dar, mit über 50 verschiedenen Ökoregionen und verschiedenen Vegetationstypen wie Regenwald, Bergwald, Überschwemmungswald, Trockenwald und andere. Die Biodiversität ist eine der höchsten der Erde und es leben hier über 500 verschiedene indigene Völker. Mit 6.400 km Länge ist der Amazonas der zweitlängste Fluss der Welt, und sogar der größte hinsichtlich des Wasservolumens, dass sich ins Meer ergießt.

Die Rodung der Wälder zieht nicht nur die Vernichtung der Artenvielfalt nach sich. Auch das frei gesetzte Kohlendioxid und Methan schadet dem Klima. Außerdem wird der Wasserkreislauf über Amazonien durcheinandergebracht, da die Vegetation maßgeblich an der Wolkenbildung beteiligt ist.

Welche Auswirkungen zeigt die Klimakrise bereits im Amazonaswald und mit welch anderen Bedrohungen hat er zu kämpfen?

In Ecuador ist der größte Teil des nördlichen Amazonasgebietes bereits abgeholzt, durch Erdöl, Straßenbau, Farmen und Ölpalmplantagen. Das südliche Amazonasgebiet ist zwar weitgehend intakt, aber durch Förderkonzessionen für Erdöl und Bergbau bedroht.

In Peru, im Bundesland Madre de Dios, sieht man kilometerweise illegale Goldschürfer, die alles zerstören. In Brasilien ist bereits Realität, wie Waldbrände und Rodung für die Haltung von Millionen von Rindern sowie längere Trockenzeiten zu erster Steppenbildung führen.

Welches sind die Gefahren, mit denen die Achuar heute konfrontiert sind?

Beim Volk der Achuar ist das Bewusstsein für das Naturschutzthema sehr groß, es gibt Waldschutzgebiete und Subsistenzwirtschaft. Familien respektieren die Nutzungsgrenzen.
Bedroht sind wir von den Ausschreibungen der Förderlizenzen für Erdöl im südlichen Amazonien.

In den Territorien gibt es demographisches Wachstum, begrenztes Territorium und Probleme mit nachhaltigem Management. Deshalb gibt es eine territoriale Ordnung. Und interne Regeln für die Jagd.

Betrifft die Klimakrise Frauen auf besondere oder andere Weise?

Frauen sind besonders betroffen, wenn sie ihre Felder auf den Flussinseln anlegen. Sie betreiben dort Landwirtschaft, weil die Erde schwärzer, ein Zeichen für Furchtbarkeit, und sandiger ist. Wenn aber unerwartetes Hochwasser kommt, zerstört es die Ernten und bringt die Frauen um ihre Erträge. Sie haben dann umsonst gearbeitet. Die Arbeitsbelastung für Frauen nimmt also zu.

Wir beginnen bereits mit Anpassungsmaßnahmen. Felder werden in höheren Gegenden angelegt, in denen sie vom Hochwasser nicht erreicht werden können.

Welche konkreten Waldschutzprojekte existieren?

In meinem Dorf, Charapacocha, gibt es Wiederaufforstungsprojekte für Brachflächen, wir pflanzen Obstbäume, Bäume zur Holznutzung, verschiedene Früchte tragende Palmen. 

Indigene Völker sind die besten Wächter des Waldes, weil sie selbst die Eigentümer sind. Deshalb kümmern sie sich mehr um sie und wir wissen, dass wir den Wald nur auf nachhaltige Weise langfristig nutzen können. Wo es indigene Völker gibt, gibt es einen Wald.

Territoriale Rechte beinhalten ein angemessenes Gebiet und ordnungsgemäßes Management. Ideal ist immer eine autonome indigene Territorialregierung, aber nicht viele können auf diese Weise leben, weil einerseits viele Staaten die Selbstbestimmungsrechte in den Territorien nicht garantieren, andererseits gibt es in manchen Territorien keine solche Planungsebene.

Was ist bei der Umsetzung von Entwicklungszusammenarbeit und Waldschutzprojekten besonders zu beachten? 

Diejenigen, die den Wald schützen, sollten ermutigt werden, zum Beispiel durch die Zahlung von Anreizen für die Erhaltung des Waldes. Diese Themen sollten durch die internationale Zusammenarbeit unterstützt werden. Mit diesen Mitteln kann sichergestellt werden, dass die Ressourcennutzung den Subsistenzbereich in den Territorien nicht überschreiten. Und: Die Erhaltung der Wälder Amazoniens ist auch notwendig, um den globalen Klimawandel zu reduzieren.

Welche Forderungen existieren an Deutschland?

Ein hoher Prozentsatz der Wälder in indigenen Territorien ist geschützt. Dies kann durch Satellitenbilder und Vergleiche mit anderen Gebieten nachgewiesen werden.
Die deutsche Zusammenarbeit hat viel zum Thema Naturschutz im Amazonasgebiet getan. Diese Zusammenarbeit sollte die indigenen Gemeinschaften direkt unterstützen, indem sie ihre Bemühungen zum Waldschutz und ihren Kampf und Widerstand zum Schutz ihrer Territorien anerkennen.

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